Anamorph, Widescreen, Cinemascope und Pan & Scan
Die verschiedenen Kinobildformate auf DVD

Glücklicherweise hat sich mit Einführung der DVD-Technologie endlich auch bei den deutschen Filmverleihen der Trend durchgesetzt, die Spielfilme im Original-Kinoformat zu veröffentlichen. Denn im Gegensatz zum Fernsehformat, welches ein Seitenverhältnis von 4:3 (1,33:1) aufweist, sind Kinofilme weitaus breiter.
Das war nicht immer so: Bis in die fünfziger Jahre hinein wurden fast alle im Filme mit einem Seitenverhältnis von 1,37:1 gedreht, dass fast mit dem Fernsehformat identisch ist. Als in den fünfziger Jahren dann das Fernsehen zum Massengeschäft wurde, suchten die Filmgesellschaften nach neuen Wegen, die Couchpotatoes wieder zurück in die großen Kinosäle zu holen. Neben dem Farbfilm sollte vor allem die Einführung eines größeren, räumlicher wirkenden Bildformats das Kino wieder attraktiv machen.
Zwei Formate haben sich etabliert und sind heutzutage üblich: Zum einen ein Bildverhältnis von 1,85:1 und "Cinemascope", welches mit einem Seitenverhältnis von 2,35:1 nochmals breiter ist.

 

1,85:1

2,35:1

Um den Unterschied zwischen Letterbox, Pan & Scan sowie einem anamorphen Bild zu verdeutlichen, nehmen wir einen Bildausschnitt in Cinemascope. Auf der Kinoleinwand würde dieser folgendermaßen aussehen:

Der Transfer des Kinobildes auf das Fernsehformat gestaltet sich nicht ganz einfach. Denn auf den immer noch am weitesten verbreiteten 4:3-Geräten lässt sich das Bild im Original-Kinoformat zwar abbilden. Doch dann wird nur ein Teil der verfügbaren Fläche genutzt, da in den Bereichen ober- und unterhalb des Kinobildes keine Bildinformationen vorhanden sind und die Mattscheibe an dieser Stelle einfach schwarz bleibt. Während das Seitenverhältnis 2,35:1 mehr in die Breite geht, ist das gewohnte 4:3 aus dem Fernsehen fast quadratisch. Will man den gesamten Bildinhalt des Cinemascope-Formats in 2,35:1 auch auf einem 4:3-TV abbilden, so muss dieses Format so verkleinert werden, dass es in den 4:3-Rahmen passt. Dabei entstehen die sogenannte "schwarzen Balken". Vielfach ist der Irrglaube verbreitet, dieses seien wirklich Balken, die über das Bild gelegt werden, doch im Grunde genommen ist es genau anders herum: Das 4:3-Bild ist viel zu hochformatig, um Cinemascope abbilden zu können. Daher wird bei der Letterboxvariante entsprechend nur ein Teil der Bildfläche überhaupt genutzt. Für Besitzer von 4:3-Geräten ist dies oft unbefriedigend: Das Bild erscheint klein und sieht so aus, als ob oben und unten die Balken Bildbereiche abschneiden würden - so lautet das vorschnelle Urteil.

1. Letterbox 2. Pan & Scan

Weil viele Videoverleihe und Fernsehsender befürchten, dass sich die Zuschauer durch die schwarzen Balken gestört fühlen, wird das Bild für den Videotransfer oft nachträglich bearbeitet: Die einfachste Methode besteht darin, einfach einen Ausschnitt mit Seitenverhältnis 4:3 aus dem Kinoformat herauszuschneiden. Dabei wird um den Preis der flächenfüllenden Darstellung bewusst ein Teil des Bildes weggeschnitten.
Im unglücklichsten Fall führt dies dazu, wie in Bild 2 sichtbar, dass ein wichtiger Teil des Bildes verloren geht und die Handlung nicht mehr zu 100% nachvollziehbar wird.
Um dies zu verhindern, wird daher in der Praxis bei der Bearbeitung des Bildmaterials für den Videotransfer permanent beobachtet, welcher Teil des Bildes weggeschnitten werden kann und teilweise zusätzlich auch in dem Originalbildrahmen herumgeschwenkt. Deswegen wird dieses Verfahren auch als Pan & Scan (steht sinngemäß für Schwenken und Abtasten) bezeichnet.
Pan & Scan stellt leider einen faulen Kompromiss dar. Denn im Extremfall gehen bei einem Cinemascope-Film mehr als 40 % der sichtbaren Bildfläche verloren. Und der Rest, der verbleibt, besteht dann oftmals nur noch aus hektisch wackelnden Schwenks zwischen Köpfen, die den gesamten Bildschirm ausfüllen. Noch schlimmer wird es, wenn das Bild nicht nur beschnitten, sondern gleichzeitig noch leicht vertikal gestreckt wird. Dann sehen die Gesichter aus wie die außerirdischen Köpfe in "Coneheads). Zum Glück wird dieser extreme Schnitt nur sehr selten gemacht.

Doch Argumente zählen nicht, wenn Otto Normalzuschauer eben aufs "Vollbild" (in diesem Zusammenhang eher ein irreführender Begriff) steht. Und so scheint sich die breite Masse der TV-Consumer nicht sonderlich an Pan & Scan zu stören: Denn gerade der Einschaltquotenkönig RTL sendet fast ausschließlich in diesem Format. Spielfilm mit Balken wirken dort wie Fremdkörper. Die öffentlich-rechtlichen Sender hingegen senden viele Filme "letterboxed". Doch auch das kann mitunter nur eine Mogelpackung sein: Zwar sind bei vielen Filmen schwarze Balken zu sehen, doch ist dies noch keine Gewähr dafür, dass auch wirklich im Kinoformat gesendet wird: Denn gerade Cinemascope-Filme werden vielfach von ihrem Ursprungsformat 2,35:1 auf 1,85:1 zurechtgestutzt.

Bei der DVD ist das echte Kinoformat tonangebend. Zumindest die großen Verleihe wie Buena Vista, Fox, Columbia, MGM und Warner haben sich größtenteils von den bildschirmfüllenden Vollbildfassungen verabschiedet. Und wer es nicht mag, der hat auch sehr oft die Auswahl zwischen Letterbox und Pan & Scan: Gerade die amerikanischen DVDs von Columbia, Warner und MGM überlassen oft die Wahl dem Käufer und bieten bei vielen Filmen die Widescreen-Fassung auf der ersten und die Pan & Scan-Fassung auf der Rückseite an.

Um noch ein Quäntchen mehr an Bildqualität aus dem Film herauszuholen, haben viele DVDs ein weiteres Feature parat, dass man als "anamorph-Codierung" oder "16:9-Optimierung" bezeichnet. Der Name deutet es bereits an: Ziel ist die Bildoptimierung für die Wiedergabe auf 16:9-Fernsehern, dem Format, das langfristig auch in Europa zum Standard werden soll. Denn das normale Letterbox-Verfahren mit den schwarzen Balken hatte bis dato einen Nachteil: Dadurch, das nur ein Teil des Bildes für den Film genutzt wird, wurde ein Großteil der insgesamt 576 Bildzeilen, die das PAL-System für die Bilddarstellung verwendet (480 bei NTSC), für die schwarzen Balken oben und unten vergeudet, so dass nur eine Bildauflösung von 432 (360 bei NTSC) Zeilen nutzbar war.

Bereits mit dem PAL plus-System wurde eine Möglichkeit gefunden, auch 16:9-Bilder mit der vollen PAL-Auflösung darzustellen, indem in den schwarzen Balken Zusatzinformationen versteckt werden, die ein PAL plus-Empfangsgerät auswerten kann und die volle Bildauflösung wieder herstellt. Doch PAL plus hat bis heute einen Nachteil: Die PAL plus-Empfangsgeräte sind immer noch verhältnismäßig teuer und konnten sich nicht richtig durchsetzen, da nur wenige Fernsehsendungen in diesem Format ausgestrahlt werden.

Daher hat man sich bei der DVD ein Verfahren aus dem Kino abgeguckt, das auch auf normalen 16:9-Fernsehern und sogar auf 4:3-Geräten mit Formatumschaltung funktioniert:  Um den fast quadratisch auf der Kinorolle gespeicherten Film auf der breiten Leinwand wiedergeben zu können, wird das Bild auf der Rolle seitlich zusammengestaucht. Zur Wiedergabe im Kino wird dann vor den Projektor einfach eine Vorsatzlinse gesteckt, auch "Anamorphot" genannt, die das Bild wieder in die richtigen Proportionen bringt.

 

3. anamorph gestrecktes Bild 4. gestauchtes Bild (16:9)

Beim DVD-Mastering geschieht genau das gleiche: Bereits beim Mastering der DVD wird das Bild von einer horizontal gestreckten Filmvorlage aufgenommen oder im nachhinein elektronisch gestreckt (Bild 3) und mit einer Zeilenauflösung von 576 Zeilen auf DVD transferiert. Betrachtet man dieses Bild auf einem 4:3-Fernseher, so ist das Bild natürlich viel zu hoch - die Eierköpfe sind wieder zu sehen. Staucht man das Bild mit der Zoomfunktion eines 16:9-Fernsehers oder mit der Formatumschaltung an einem 4:3-Fernseher wieder zusammen, bekommt es die richtigen Proportionen zurück. Allerdings mit dem entscheidenden Vorteil, dass jetzt alle 576 Bildzeilen ausgenutzt werden können. Die Bildqualität ist nicht zuletzt deswegen deutlich besser, da wegen des geringeren Zeilenabstands die Zeilenstruktur des Fernsehbildes nur noch schwer auszumachen ist.

Die anamorph-Codierung funktioniert natürlich auch bei NTSC und kann auf diese Art und Weise die Bildauflösung von 360 Zeilen bei normalen Letterbox-Fassungen auf die vollen nutzbaren 480 Bildzeilen erhöhen. Selbst bei NTSC mit der geringeren Bildauflösung ist die Zeilenstruktur mit anamorphen DVDs fast nicht mehr auszumachen. 

Um auch wirklich den Vorteil der hohen Bildauflösung nutzen zu können, ist es wichtig, dass auch der DVD-Spieler das anamorphe Bild von der DVD korrekt ausgibt. Jedes Gerät besitzt hierzu einen Schalter oder einen Menüpunkt im Setup, unter dem man das Bildformat einstellen kann. Denn wenn der Player auf 4:3 eingestellt ist, rechnet der DVD-Player das anamorphe Bild für die Darstellung auf einem 4:3-Fernseher um, indem das Bild von der Videoelektronik des Players wieder zusammengestaucht und jede vierte Bildzeile entfernt wird. Zum Schluss fügt die Elektronik ober- und unterhalb des Bildes wieder schwarze Balken ein. Das endgültige Ergebnis dieser Prozedur ist ein normales Letterbox-Bild.

Anamorphe DVDs bieten eine bisher noch nicht erlebte Bildqualität. Leider nutzt nicht jeder Videoverleih bereits diese Technik, da gerade die unabhängigen Anbieter sich oft um das recht aufwendige Anfertigen eines anamorphen Masters für die DVD scheuen. Man kann jedoch nur hoffen und gerade an die kleinen Labels appellieren, dass auch sie sich früher oder später endlich für diesen Schritt entscheiden. Denn ohne 16:9-Optimierung ist die DVD nur halb so viel wert. Spätestens, wenn eines fernen Tages auch hierzulande das hochauflösende Fernsehen (HDTV) eingeführt wird, sind die nicht-optimierten DVDs die ersten, die man sich gar nicht mehr anschauen möchte, während die anamorphen DVDs bereits jetzt einen leisen Vorgeschmack auf das Fernsehen der Zukunft bieten.

Auch wenn HDTV momentan noch nicht in Sicht ist, nutzt inzwischen auch das Fernsehen bereits die Technik, die auf den DVDs verwendet wird: Im Digital-TV des ZDF werden zunehmend 16:9-Sendungen im anamorphen Bildformat ausgestrahlt. Der Digital-Receiver gibt dieses dann auch direkt so aus oder kann dieses optional wieder auf Letterbox herunterrechnen.

Karsten Serck

Dezember 1998